“Fahr’ morgen kein Fahrrad!”, sagte meine Frau, als sie mir gute Nacht sagte. Ja, ich bin in der komfortablen Lage, dass ich morgens nicht aufstehen und zur Arbeit muss und deshalb zuweilen nicht mit meiner Frau frühstücke.
Fragend sah ich sie an, sah ihren Blick und wusste plötzlich, worauf sie anspielte. Genau vor einem Jahr, am 7. Januar 2015, hat ich einen Fahrradunfall, den ich fast nicht überlebt hätte.
Der mir elf Tage künstliches Koma bescherte und anschließend eine Zeit der Halluzinationen, Albträume und großen Ängsten.
Meine Familie, in der emotional mehr als stressige Zeit, eine Zeit des Hoffens und Bangens, bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit führte.
Eine Zeit der täglichen Besuche im Krankenhaus, immer mit dem Gedanken lebt er noch?
Das stundenlange an meinem Bett sitzen, dass Erzählen und Vorlesen, denn Komapatienten nehmen ihre Umgebung wahr, heißt es.
Das Achten auf die kleinste Reaktion, dass geringste Zucken oder die Augenbewegung unter den geschlossenen Lidern. All das wird als positives Zeichen bewertet, gibt Hoffnung und beim Abschied kurzzeitig die Zuversicht, dass ich auch am nächsten Tag, beim nächsten Besuch noch lebe.
Ich weiß von all dem nichts. Kann mich nicht daran erinnern, dass mir erzählt und vorgelesen wurde. Kann mich an gar nichts erinnern, nur an diese schrecklichen Halluzinationen, die Albträume und die Angst, wie ich sie nie zuvor empfunden habe und der Gedanke daran mich heute noch gruseln lässt, ich spüren kann, wie die Angst versucht, sich in mir auszubreiten. Bilder flashen kurz an meinem inneren Auge vorbei, bevor ich das Tor der Erinnerung mit lautem Knall zuwerfen kann.
Ich bin dankbar dafür, dass sich die Abstände vergrößern und mich hoffen lassen, sie irgendwann vergessen zu haben.
Die Zeit fehlt in meinem Bewusstsein, in meiner Vita. Sie ist wie ein dunkles Loch, in das kein Licht einfällt und ich nichts erkennen kann. Erinnern kann ich mich nur an meine Nahtoderfahrung, die deutlich vor meinem geistigen Auge steht. Die Zweite in meinem Leben.
Inzwischen geht es mir wieder gut. Mein Airbag hat fast wieder den alten Umfang, die Hosen sind nur noch wenig zu weit. Die Muckibude formt meinen restlichen Körper und mit dem Fahrrad fahre ich schon wieder, seit ich körperlich dazu in der Lage bin.
Für viele, die mich kennen und mich gesehen haben, ist kaum zu glauben, dass ich das überlebt habe. Mein Freund und Arzt, der mich auf der Intensivstation besucht hat, sagte zu mir »Ich habe nicht damit gerechnet, noch einmal mit dir hier sitzen zu können!«
Das bisschen Lunngenvolumeneinschränkung, das ich nach dem Unfall wohl nicht mehr loswerden werde, ist eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem Glück, das ich hatte. Natürlich sind noch nicht alle Wunden verheilt. Ein solches Trauma kann man nicht mal eben abschütteln. Aber ich bin auf einem guten Weg und es geht mir gut.
Mein Leben hat sich seit diesem Unfall geändert. Ich nehme bewusster wahr, freue mich mehr über Kleinigkeiten und bin dankbar. Dankbar für jeden Tag, den ich lebe.