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Eigentlich sollte es nur ein kurze Fahrt mit dem Aufzug sein.

Wir waren schon früh am Morgen auf, obwohl wir eigentlich gerne noch weitergeschlafen hätten. Da aber der Umzug gestern so gut gelaufen war, wollten wir fertig werden und waren gegen die Wünsche des eigenen Körpers aktiv.

Meine Frau kam gerade vom Einkaufen und ich half ihr beim Transport in die Wohnung. Das ist etwas übertrieben, denn wir können von der Tiefgarage aus gleich mit dem Aufzug auf unsere Etage in dem kleinen Mehrfamilienhaus fahren. Das ist bequem und kommt unserem Alter entgegen. Insgesamt haben wir nun eine Wohnung, die, wie sagt man so schön: barrierefrei ist und wir im Notfall auch mit Rollator oder Rollstuhl nutzen können.

Meine Frau ging vor mir in den Aufzug. Gerade als ich hineingegangen war, ging für eine Millisekunde das Licht aus. Stromschwankungen, wie sie manchmal passieren, die man kaum wahrnimmt und die wenig beunruhigend sind, dachte ich.

Ich höre noch, wie mit einem kurzen Klacken die Türe verriegelte, drückte auf den Knopf unserer Etage, aber nichts tat sich. Ich drückte auf den Knopf fürs Türöffnen, aber auch hier tat sich nichts. Ich drückte alle Knöpfe, keine Reaktion. Eingeschlossen, im Aufzug stecken geblieben. “Hängen wir fest?”
Ich sah meine Frau an und nickte.

Mit den Augen suchte ich nach dem Notknopf. Über der Knopfleiste ein Hinweisaufkleber, den ich nun verzweifelt zu lesen versuchte, aber die Schrift war zu klein oder ich nicht weit genug davon weg. Eine Brille hatte ich natürlich nicht in der Tasche. Da endet auch schon die Barrierefreiheit. Meine Frau trägt immer eine Brille, also bat ich sie, den Text zu lesen. Wenn man mindestens drei Sekunden auf den Notrufknopf drückte, würde sich jemand melden, stand dort.

21. 22. 23. 24 Eine zusätzliche Sekunde muss sein, damit man auf keinen Fall unter den angegebenen drei Sekunden blieb.

Das Gedudel einer digitalen Wahl begann, wie man sie früher an Telefonen hören konnte. Pause. Nichts tat sich. 21. 22. 23. 24. 25. So jetzt mussten die drei Sekunden auf jeden Fall erreicht sein. Dass der Wählvorgang gerade auch begonnen hatte, hatte ich beim Zweitdrücken vollkommen ignoriert. Wieder das Gedudel des digitalen Wählens. Pause. Ich sah meine Frau an, zuckte mit den Schultern.

“Hast du dein Handy dabei?” Sie schüttelte den Kopf.

Meines hatte ich auch nicht in der Tasche. Es wäre aber auch fraglich gewesen, ob wir hier überhaupt Empfang gehabt hätten in diesem Metallkäfig. Wie ich später testete, hätten wir keinen Empfang gehabt.

Ein Geräusch. Das kannte ich doch. Der Anruf wurde weitergeschaltet. Das wiederholte sich mehrfach. Dann plötzlich Musik. Musik, die nicht von einer Ansage unterbrochen wurde. Spannung. “Wie kann ich Ihnen helfen?”

“Wir stecken hier im Aufzug fest und kommen nicht mehr raus!”, sagte meine Frau und stellte sich dabei auf die Zehenspitzen, um in ein imaginäres Mikrofon zu sprechen. Ich konnte kein Mikrofon erkennen. Wer weiß, wo es saß.

“Moment, ich melde mich gleich wieder!”, ertönte die blecherne Stimme aus dem Lautsprecher.  Wir waren gespannt, denn es war nicht schön, in dem Aufzug gefangen zu sein. Ich fing schon an zu schwitzen, was immer schnell passierte, wenn die Temperatur anstieg. Und in dieser kleinen Kabine stieg die Temperatur schnell an. Wie immer hatte ich ein Taschentuch dabei, mit dem ich mir das Gesicht trocknete.

“Hören Sie?”

“Ja.”, antwortete meine Frau.

“Ich habe den Techniker erreicht. Er wird in einer halben Stunde oder spätestens in 35 Minuten bei Ihnen sein und Sie aus dem Aufzug befreien.”

Klack. Die Verbindung war unterbrochen.

Eine viertel Stunde waren wir nun schon in dem Aufzug gefangen. Insgesamt werden es wohl 45 Minuten werden, dachte ich und ließ meinen Blick in der Kabine schweifen. Nichts, was Aufmerksamkeit oder Ablenkung verspricht. Also müssen wir irgendwie sehen, wie wir die Wartezeit füllen. Meine Frau setzte sich auf den Boden. “Komm, setz dich neben mich.”, forderte sie mich auf, aber ich lehnte ab. Mein Muskelfaserriss im Oberschenkel macht das Aufstehen zur Qual, stehen dagegen kann ich problemlos.

Wir plauderten miteinander. Nicht dass wir keinen Gesprächsstoff hätten, aber so ein Zwangsgespräch, um die Zeit zu überbrücken, ist nicht mein Ding.

Die 35 Minuten waren inzwischen überschritten und immer noch nichts von dem Monteur. Gespräche im Flur, die wir teilweise nicht verstehen konnten. Beschwerden über den nicht funktionierenden Aufzug. Ein Mann hat die letzte Stufe der Treppe nicht gesehen und ist gestürzt. Das ist meinem Schwager auch passiert, als wir vor dem Umzug ein paar Sachen hergebracht hatten. Stufe nicht gesehen und schon lag er auf den Knien am Boden. Mir ist Ähnliches passiert. Allerdings bei Aufstieg. Eine Stufe nicht gesehen, ein Tritt ins Leere. Nicht schlimm, aber auch nicht angenehm, wenn man ins Leere tritt und der erwartete Widerstand ausbleibt.

“Drück noch mal!”, forderte ich meine Frau auf.

21. 22. 23. 24. 25.

Der Wählton setzte ein. Dann tat sich wieder nichts. Das Weiterverbindungsgeräusch war zu hören, mehrfach. Dann eine Männerstimme.

“Was kann ich für Sie tun?”
Was für eine Frage dachte ich. Was ist wohl los, wenn der Notruf im Aufzug gedrückte wird. Ist der Kühlschrank dann leer und man kann frische Getränke ordern. Ich spürte meine trockene Kehle und dachte: In solchen Fällen sollte sich im Aufzug eine kleine Klappe öffnen, in der gekühlte oder auch ungekühlte Getränke stünden. Traubenzucker wäre auch nicht schlecht, wenn ein Diabetiker eingeschlossen wäre. An so was dachte wieder mal keiner.

“Ich melde mich gleich noch mal.”, schepperte es aus dem Lautsprecher. Meine Frau verdrehte die Augen. “Langsam wird es Zeit, dass wir hier rauskommen. Aus den 35 Minuten sind nun schon 60 geworden. Mir reicht es!”

Auch mir reichte es. Aber vielleicht war es Taktik, kurze Wartezeiten anzugeben, damit die Eingeschlossenen nicht in Panik verfielen. Entscheidend war das Kopfkino. Auch ich hatte bemerkt, wie sich mein Kopfkino einschalten wollte, und habe es gleich zu Beginn unterbunden. Horrorszenarien sind schnell ausgemalt, diese dann aber wieder aus dem Kopf zu bekommen, und ruhig und gelassen zu bleiben, ist da schon schwieriger. “In zehn Minuten ist der Techniker da! Dann wird er die Türe öffnen.”

Stille, als der Mann am anderen Ende die Verbindung unterbrochen hatte.

Aus den zehn Minuten wurden dann doch noch fast dreißig Minuten, sodass wir insgesamt gute eineinhalb Stunden im Aufzug eingeschlossen waren.

Dann ging die Türe auf und der Techniker stand davor. Er entschuldigte sich und erklärte, warum es so lange gedauert hätte. Er käme aus Hilden. Hilden liegt irgendwo bei Düsseldorf. Eine Fahrzeit von 30 Minuten bis Köln ist schon eine sehr sportliche Aussage und setzt einen Tiefflug voraus. Außerdem hätte er erst einen anderen Straßennamen verstanden und den ins Navi eingegeben. Dort gab es aber die von uns angegebene Hausnummer nicht. Rückfrage bei der Hotline, dann die richtige Straße eingeben und nun sei er da. Man sah ihm an, dass ihm die Verzögerung unangenehm war.

“Können wir denn jetzt mit dem Aufzug zu unserer Etage fahren?”

Er nickte und lächelte. “Ich warte, bis Sie oben sind!”

Eine Woche ist fast seit diesem Ereignis vergangen. Am Anfang wollte meine Frau nicht mehr mit dem Aufzug fahren. Aber ich konnte sie dann überzeugen, es doch zu tun. Die statistische Wahrscheinlichkeit ist nicht sehr hoch, noch einmal im Aufzug innerhalb kurzer Zeit stecken zu bleiben. Wenn doch, so sollten wir Lottospielen. Denn wer die Wahrscheinlichkeit außer kraft setzen kann, hat auch Glück im Spiel. Außerdem hatte ich keine Lust, die Einkäufe die Treppe hoch zu schleppen. Jetzt fahren wir wieder mit dem Aufzug. Zumindest, wenn wir beladen sind. Sonst gehen wir die Treppe, wie wir es vorher auch immer getan haben. Immerhin ist das ein kleines Fitnessprogramm.