Direkt zum Inhalt

Familienkommunikation

Wir hatten gerade im Biergarten Platz genommen und schauten auf die Voralpenberge, die Wiesen und Weiden, die Pferdekoppel mit den sieben Pferden, die herumtollten und auf das Städtchen Reit im Winkl, als eine Familie ebenfalls den Biergarten betrat.

Vorneweg die Mutter. Knapp über 40 Jahre und so dünn, dass sie schon fast als magersüchtig durchgehen würde.

Hinter ihr die wohl zwölfjährige Tochter, die auch nicht viel dicker aussah, aber sicherlich nicht magersüchtig war.

Dann die zehnjährige Tochter, dicht gefolgt vom achtjährigen Bruder.

Als Letztes kam der Vater, Mitte 40 und im Gegensatz zu seiner Frau sah er nicht magersüchtig aus. Man konnte eher den Eindruck gewinnen, als würde er ihr das Essen wegessen. Er trottete ohne Elan und recht teilnahmslos hinterher.

Die Mutter steuerte zielstrebig einen Tisch an, den sie auch gleich in Besitz nahm und die Plätze verteilte.

Die Töchter saßen den Eltern gegenüber, während der Sohn am Kopfende des Tisches Platz nahm.

Die Familie saß noch nicht ganz am Tisch, da nahmen alle ihre Handys aus der Tasche und legten sie vor sich hin.

Der Vater zog zusätzlich noch ein Päckchen Zigaretten und ein Feuerzeug aus der Tasche. Er entnahm dem Päckchen eine Zigarette, nahm das Feuerzeug und zündete sie sich an. Dann gab er das Feuer­zeug an die Mutter weiter, die sich ebenfalls eine Zigarette aus dem Päckchen nahm und diese ebenfalls anzündete.

Der Vater hatte das Feuerzeug noch nicht ganz an die Mutter übergeben, als er auch schon nach seinem Handy griff und in bekannter iPhone-Bedienung mit dem Finger über das Display wischte.

Die Mutter legte das Feuerzeug auf den Tisch, nahm ebenfalls ihr Handy in die Hand und betrachtet interessiert das Display. Ab und zu wischte sie mit zwei Fin­gern der zigarettehaltenden Hand eben­falls über das Display.

In der Zwischen­zeit hatten auch die Kinder ihre Handys in die Hand genommen. Handys, die sich durch die Außenfarbe unterschieden, sonst aber das gleiche Modell zu sein schien.

Das ältere Mädchen tippt augenscheinlich eine SMS, während ihre Schwester ein Spiel spielte.

Die Bedienung kam und legte vor jedes Familienmitglied eine Speisenkarte auf den Tisch, was durch ein kurzes Aufblicken bedankt wurde. Ohne aufzublicken, gab jedes Familienmitglied seinen Getränke­wunsch bekannt.

Nach einer Weile drückte die Mutter die Zigarette aus und nahm die Karte zur Hand. Sie las einige Gerichte vor und ab und zu nickte ein Familienmitglied bestätigend, ohne aufzusehen oder die Handybedienung zu unterbrechen.

Ohne richtig hinzuschauen und ohne den Blick vom Display zu nehmen, suchte der Vater mit der Hand den Aschenbecher und drückte die Zigarette aus. Die Hand zuckte zurück und der Vater schüttelte sie und steckte anschließend den Finger kurz in den Mund — er hatte sich wohl verbrannt, aber keinen Sekundenbruchteil das Handy aus der Hand gelegt.

Die Mutter legte die Speisenkarte wieder auf den Tisch und nahm ihr Handy wieder in die Hand. Kaum wischte sie mit dem Finger über das Display, erschien die Bedienung mit den Getränken und stellte diese vor die einzelnen Familienmitglieder, ohne dass diese aufschauten.

Die Mutter legte das Handy aus der Hand, nahm die Karte und bestellte für die Familie. Dabei sprach sie die einzelnen Familienmitglieder an und ihr wurde durch Kopfnicken die Richtigkeit der Bestellung bestätigt, ohne das die Tätigkeit am Handy auch nur ansatzweise unterbrochen wurde.

Der Vater tastete derweil mit einer Hand nach Zigaretten und Feuerzeug und zündete sich eine zweite Zigarette an. Dass er den Blick dabei vom Display nehmen musste, nervte ihn scheinbar.

Während der gesamten Wartezeit aufs Essen legte nicht ein Familienmitglied das Handy aus der Hand oder sprach mit einer anderen Person am Tisch.

Als das Essen von der Bedienung an den Tisch gebracht wurde, dauerte es bei jedem Familienangehörigen unterschiedlich lange, bis das Handy neben den Teller gelegt und das Besteck in die Hand genommen wurde.

Das Fleisch wurde kurz grob vorgeschnitten, sodass die weitere Nahrungsaufnahme mit der Gabel geschehen konnte. Gleichzeitig wurde das Handy wieder in die andere Hand genommen. Der Blick huschte nun immer ziemlich schnell vom Handy zum Teller, um dort die nächste Gabel zu füllen.

Interessanterweise waren alle Personen am Tisch in der Lage, den Unterarm kurz vor dem Ellbogengelenk im ständigen Kontakt mir der Tischkante zu halten, während die Gabel zum Mund geführt wurde, sodass der Oberkörper schon in einem Fünfundvierziggradwinkel abgewinkelt werden musste.

Als die Nahrungsaufnahme beendet und die Rechnung beglichen war, verließ die Familie in gleicher Reihen­folge wie beim Einzug den Biergar­ten. Die Handys waren wieder in der Tasche.