Unabhängig davon, ob man die demnächst verbindlich eingeführte Eingangsstufe in der Grundschule befürwortet oder ablehnt, sollte die Möglichkeit der Einführung von jahrgangsübergreifenden Klassen überdacht und als Chance gesehen werden.
Jahrgangsklassen
Führt man sich die derzeitige Situation vor Augen, so kommt man nicht umhin festzustellen, dass der Unterricht in Jahrsgangsklassen doch mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist. So erzeugen Jahrgangsklassen die Illusion, dass sich alle Schüler eines Alters auf dem gleichen Lern- und Leistungsstand befinden.
Nur vordergründig ist die Jahrgangsklasse eine homogene Gruppe. In der Praxis sieht es so aus, dass die Homogenität durch Sitzenbleiber und durch unterschiedliche Leistungs- und Lernentwicklungen nicht vorhanden ist. Differenzierungen und individuelle Förderung einzelner Schüler können unter diesen Voraussetzungen häufig nicht gewährleistet werden.
Welche Möglichkeiten und Vorteile bietet dann aber der jahrgangsübergreifende Unterricht?
In jahrgangsübergreifenden Klassen befinden sich mindestens Schüler zweier Jahrgänge und werden gemeinsam unterrichtet.
Den größten Teil der Zeit arbeiten die Schüler dieser Klasse in offenen Unterrichtsformen wie: Wochenplanarbeit, Freie Arbeit, Stationenbetrieb usw.
Bei der Einführung des jahrgangsspezifischen Unterrichtsstoffes können die Schüler zweier Parallelklassen zu einer Lerngruppe zusammengefasst werden. Dies kann insbesondere in Fächern Mathematik und Sprache der Fall sein. Im Sport- und Kunstunterricht ist dies in der Regel nicht nötig.
Je nach Modell der gewählten Form der jahrgangsübergreifenden Klassen (1 und 2, 1 bis 4 usw.) sind Vor- und Rückversetzungen möglich, ohne das der Schüler den Klassenverband wechseln muss.
Bestehende soziale Systeme werden so beibehalten und bewährte Regeln und Rituale von den älteren Schülern an die jüngeren Schüler weitergegeben. Schüler lernen voneinander und lernen nebenbei, aufeinander Rücksicht zu nehmen und sich zu helfen. Soziales Lernen entwickelt sich so kontinuierlich.
In dieser Umgebung haben Schüler die Möglichkeit selbstbestimmt und selbstständig zu lernen und zu arbeiten. Der Lehrer wird immer mehr zum Berater der Lernenden.
Selbstverständlich müssen für jeden Jahrgang Lernziele formuliert werden, deren Evaluation den Wechsel in die nächste „Klasse“ legitimiert.
Vorteile
Nicht nur jüngere Kinder haben Vorteile durch jahrgangsübergreifende Klassen, sondern auch die älteren Kinder profitieren von den jüngeren Kindern.
Jüngere Kinder
- Schnelle Eingliederung in den Klassenverband (Paten)
- Motivation durch Vorbild der älteren Kinder
- Lernen mit älteren Kinder
- Lernen nach eigenen Interessen
Ältere Kinder
- Übernahme von Verantwortung für jüngere Kinder
- Weitergabe von Klassenregeln und –ritualen
- Gegenseitige Motivation
Lehrer
Auch Lehrer profitieren von jahrgangsübergreifenden Klassen. Das soziale Klima in der Klasse verändert sich durch die Rücksichtnahme aufeinander. Kleinere Hilfen erfolgen durch die größeren Kinder und der Lehrer wird entlastet.
So hat er mehr Zeit sich um die individuellen Lernbedürfnisse einzelner Schüler zu kümmern.
Die Rolle des Lehrers verändert sich
Er wird Berater und Moderator und unterstützt die Schüler bei ihren Lernprozessen. Dies setzt selbstverständlich voraus, dass er bereit ist, an entsprechenden Fortbildungen teilzunehmen und im Vorfeld Erfahrungen sammelt, indem er zum Beispiel an einer Schule hospitiert an der jahrgangsübergreifenden Klassen unterrichtet werden.
Wie kann man beginnen?
Voraussetzungen:
Beschluss der Lehrerkonferenz
- Beschluss der Schulkonferenz
- Mindestens zwei hintereinanderliegende Jahrgänge (1. und 2. Schuljahr bieten sich an. Die Ausweitung auf jahrgangsübergreifende Klassen der Jahrgänge 1 – 4 ist optimal.)
- Die gleichzeitige Einführung in alle Züge der Schule macht eine Diskussion darüber überflüssig: Warum wird jahrgangsübergreifender Unterricht nur dort begonnen?
- Die Klassenführung bei jahrgangsübergreifenden Klassen lange Zeit bei einem Lehrer.
Weitere Voraussetzungen
Fortbildung in:
- Planung, Steuerung und Kontrolle offener Lehr- und Lernsituationen
- Teamfähigkeit
- Arbeitsmaterialien
Fazit
Trotz Mehrarbeit und erhöhtem Materialbedarf ist jahrgangsübergreifender Unterricht eine Weiterentwicklung der Grundschule ganz im Sinn der Kinder. Auch der Lehrerberuf ändert sich: Weg vom „Animateur“ und hin zum Moderator und Manager von Lehr- und Lernprozessen und legt so die Grundlagen für lebenslanges und selbstbestimmtes Lernen.