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Und erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

Posted in Nachdenkliches, Rentner, and Standpunkt

Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich mir als junger Mensch nie vorstellen konnte mit dem Arbeiten aufzuhören. Dafür habe ich immer viel zu gerne gearbeitet. Das, was ich tat, habe ich nicht als Arbeit empfunden. Zeit hatte ich unendlich und als ich mit achtzehn Jahren meine Krebserkrankung überstanden hatte, hielt ich mich für unsterblich.

Dann, ich hatte die vierzig schon überschritten, kam manchmal der Gedanke an den dritten Lebensabschnitt. Was ich dann alles tun wollte, wozu ich während der Arbeit keine Zeit hatte.
Der Gedanke daran zauberte mir regelmäßig ein Lächeln ins Gesicht und manchmal, wenn ich Zeit hatte oder auch nicht, gab ich mich meinem Tagtraum hin. Gitarre spielen, ein Buch schreiben, durch die Welt reisen, fotografieren und einfach auch mal nichts tun.
Diese Vorstellungen wurden vor meinem geistigen Auge immer von schönem Wetter und Sonnenschein begleitet. Manches Mal fiel es mir schwer meinen Tagtraum zu verlassen. Aber, das musste sein, denn die Arbeit musste getan werden.
Neben der Arbeit war meine Familie das Lebenfüllende. Meine Frau und unsere Kinder.

Nun dauert es nicht mehr so lange, bis du losgelöst von Verpflichtungen tun kannst was du willst, dachte ich, und ließ den Tagtraum Tagtraum sein. Noch von Glück durchströmt wandte ich mich meinen Pflichten zu.

Die Zeit verging, ich kam meinen Verpflichtungen nach und merkte, dass ich in kürzeren Abständen und mit größer werdendem Wunsch die Zeit herbeisehnte, an der ich mich aus dem Arbeitsprozess zurückziehen konnte. Die Arbeitsvoraussetzungen sich geändert und durch die Übernahme einer Funktionsstelle das Tagespensum noch einmal ordentlich verdichtet.
Wenig Zeit zum Luftholen und um die Seele baumeln zu lassen. Dazu Verantwortlichkeiten, die eingefordert wurden ohne mir die Möglichkeit zu geben, vor Ort zu gestalten.
Solche eine Tagestaktung hält man nur eine begrenzte Zeit durch. Die Nächte wurden immer kürzer und die Tage immer länger. Irgendwann kam die körperliche Erschöpfung. Damit nicht genug – ich will immer alles – gesellte sich eine heftige Depression dazu.
Versuche, wieder auf die Beine zu kommen, misslangen oder waren nur von kurzem Erfolg, da ich es nicht schaffte, mich diesen Tagesabläufen zu entziehen, um das zu machen, was eigentlich sinnvoll gewesen wäre, den Arbeitstag nach acht Stunden zu beenden und alles, was nicht geschafft worden ist, auf den nächsten Tag zu verschieben.
Die Folge war absehbar. Ich schied vorzeitig aus dem Berufsleben aus. Nicht ganz freiwillig, denn ich hätte gerne in der Lehrerfortbildung gearbeitet. Erfahrungen und Stärken konnte ich nachweisen in altergemischem Unterricht, Inklusion und Neue Medien. Im Grund all das, was im Moment gefragt ist. Jahrelange Erfahrung als Moderator in der Lehrerfortbildung kamen hinzu. Leider war das nicht möglich, ganz oder gar nicht. Schade, dass ein so soziales Land an diese Möglichkeit nicht gedacht hat.

Ich war also zu Hause. Aus dem Arbeitsprozess ausgeschieden. Musste morgens nicht mehr aufstehen und den ganzen Tag funktionieren, sondern konnte im Bett bleiben, so lange ich wollte. Meine Frau war sehr großzügig und stellte keine Forderungen an mich. Nicht mal, dass das Essen fertig sein musste, wenn sie nach Hause kam.
Ich lebte in den Tag und begann irgendwann damit, die Fachbücher zusammenzupacken, und schickte sie in großen Kisten an einen Wiederverkäufer. Der Erlös betrug nicht mal ein Zehntel dessen, was sie gekostet hatten. Sie waren weg und das war für mich ein äußeres Zeichen, dass ich nun nicht mehr arbeiten musste.
Endlich die Zeit für die Tätigkeiten, die ich in meinen Tagträumen gesehen und die mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hatten.
Ich tat nichts von dem, was mir so erstrebenswert für die Zeit nach meinem Arbeitsleben erschienen war. Kürzere Reisen mit meiner Frau, mal ein Foto, mal ein kurzer Text wie dieser hier. Die neue Gitarre, die ich mir extra samt Verstärker gekauft hatte, steht mahnend in meinem Arbeitszimmer. Unbespielt und der Verstärker, ohne sich auch nur einmal mit der Gitarre verbunden zu haben. Ein Arbeitszimmer ist es auch nicht mehr. Hier stehen halt die Regale mit den Büchern und ein Schreibtisch.

Struktur muss her und deshalb übernahm ich ein Ehrenamt, in dem ich einmal in der Woche einen Tag tätig bin. Muckibude und Radfahren, die weiteren Strukturierungshilfen.
Bis die Zäsur mit dem Fahrradunfall kam, ich nur knapp und gegen die Erwartungen aller, auch der Ärzte, überlebt habe.
Ich weiß nicht, wo ich diesen Lebenswillen und die Energie immer herhole.

Das Leben ist endlich, auch für mich, ist die Erkenntnis meines Unfall und meines Alters. Anders als in jugendlichen Jahren wird mir das immer bewusster.
Was ist mit den vielen Dingen, die ich gerne noch gemacht hätte? Ich weiß es nicht.
Die Endlichkeit scheint mich zu lähmen. Ich mache nichts oder wenig. Manchmal ziehe ich mit der Kamera los, die Regelmäßigkeit der Muckibudenbesuche ist unterbrochen und schreiben, schreiben gelingt gar nicht. Der Kopf ist voller Ideen. Angefangene Projekte finden sich zuhauf in angefangen in Kladden oder auf dem Datenträger meines Rechners. Ich ärgere mich darüber, dass ich es nicht schaffe, die Geschichten zu vollenden. Wenn ich es versuche, sitze ich davor und starre auf den Satz, mit dem ich das letzte Mal aufgehört habe. Meine Gedanken schweifen ab und ich lasse mich von allem ablenken und klappe irgendwann das Heft zu, stelle es ins Regal zurück und ärgere mich.

Das Leben ist endlich, aber seit ich nicht mehr arbeite, habe ich kein Wochenende mehr, keine Ferien. Alles ist ein gleichförmiger Einheitsbrei und wenn ich nicht ab und an auf den Kalender schauen würde, wüsste ich nicht, was für ein Tag ist. Irgendwie, ohne dass ich es in Worte fassen könnte, fehlt mir etwas. Vielleicht ein wenig Stress, der mir etwas von meiner Tageszeit nimmt und mich handeln statt abwarten lässt. Diese Unfähigkeit gepaart mit dem Bewusstsein meiner Endlichkeit ärgert mich.

Wie das Kaninchen vor der Schlange, im Wissen, dass nur die Flucht hilft, aber unfähig auch nur einen Muskel zu bewegen.

Was mir fehlt, was mir helfen würde, ich glaube, ich weiß es. Ich brauche Arbeit, muss etwas Sinnvolles tun, etwas Stress haben und nicht die Möglichkeit stundenlang über etwas nachzudenken. Denken kann das Handeln verhindern.