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Sitzenbleiben, das Thema, das das Sommerloch füllen hilft.

Posted in Bildung, Inklusion, Lernen, Nachdenkliches, Schule, Schulentwicklung, and Standpunkt

Sitzenbleiben oder nicht sitzenbleiben, das ist hier die Frage! Klick um zu Tweeten

   Man kann fast die Uhr danach stellen, mehrheitlich vor den Sommerferien wird in gleichförmiger Art und Weise das Thema »sitzenbleiben« öffentlich diskutiert.

   Experten streiten darüber, ob es sinnvoll ist oder nicht eine Klasse zu wiederholen.  Politiker rechnen die Kosten vor, die ein Sitzenbleiber verursacht. Sie wogt hin und her, die Diskussion und füllt dabei das Sommerloch.

  Neue Argumente gibt es nicht. Andere Denkansätze ebenfalls nicht. Das Thema wird, wenn es wieder einmal lange genug durchgekaut worden ist, still unter den Teppich des Schweigens gekehrt. Macht ja nichts, denn alle halbe Jahre gibt es nochmals Zeugnisse. Genügend Anlässe, um das Thema abermals der Öffentlichkeit zu präsentieren und zu diskutieren.

   Im Grunde dreht sich diese Diskussion im Kreis.

   Das hängt damit zusammen, dass man das Thema nicht faktisch neu denkt, Denkschranken durchbricht und das umsetzt, was tatsächlich helfen könnte.

Sitzenbleiben muss nicht sein! Andere Schulorganisation kann helfen. Klick um zu Tweeten

   Einige Aspekte, die nicht nur das Sitzenbleiben verhindern, sondern Schule grundsätzlich verändern würde, kann ich benennen.

   Ein Punkt ist – ich weiß, dass ich mich wiederhole – die Note, die als Ergebnis erbrachter Leistungen gegeben wird, kann in den Fällen, in denen die Leistungen nicht ausreichen, beim Schüler ein Denken von Ausweglosigkeit entstehen lassen.

»Schon wieder eine Fünf. Dabei habe ich so viel geübt. Ich kann machen, was ich will, ich schaffe das nicht!«

   Die Erwartungshaltung des Schülers, die sich so dokumentiert, wird erfüllt!

   Groß genug ist die Verunsicherung, mit der ein Schüler an eine Leistungsüberprüfung herangeht. Angst als Fundament für Fehler, wenn man an seinem Leistungsvermögen derart zweifelt.

   Die Vergabe einer Note wirkt sich nicht positiv aus.

   Abgesehen davon, dass die Notengebung nicht zu den angestrebten Inklusionszielen passt, kann sie in der Regel nur bei reproduzierendem Lernen angewendet werden.

   Auch von dieser Art des Unterrichts und Lernens muss sich Schule in weiten Teilen entfernen!

   Lange Zeit war diese Form des Lernens ausreichend. Zumindest in der Zeit, in der sich das Weltwissen erst nach Generationen verdoppelt hat. Heute verdoppelt sich das Weltwissen nach wenigen Jahren. Wer auf dem Laufenden bleiben will, muss sich bilden. Da reicht reproduktives Lernen nicht. Viel wichtiger sind Lernstrategien, die man kennt und sich erschließt. Grundvertrauen in sich selbst und Spaß daran, neue Dinge zu erkunden. Kann man das, so hat »Lernen lernen«, wie es lange Zeit hieß, gewirkt.

   Lernen ist eine individuelle Angelegenheit, die gleichermaßen individuell angegangen werden muss.

   Sicherlich haben alle Menschen in einer gewissen Zeitspanne in ihrer Entwicklung das Bestreben, Dinge zu lernen. Maria Montessori bezeichnet dies als sensible Phase. Diese Entwicklungs- / Lernperiode kann um Monate abweichen.

   Trifft der Unterricht so nicht das Bedürfnis eines Lernenden, wird er sich schwertun, das geforderte für sich zu erschließen. Ein paar Monate später, wenn es seine Interessenslage trifft, fliegt ihm dieser Lernstoff zu.

   Eine Erfahrung, die jeder schon gemacht hat. Den Unterschied bemerkt man, ob man lernen muss oder lernen will.

Unterricht in Jahrgangsklassen führt beim Sitzenbleiben zur Stigmatisierung. Klick um zu Tweeten

   Das zweite Hindernis, was Sitzenblieben verhindern könnte, sehe ich in der Organisationsform der Jahrgangsklasse.

   Altersgemischte Lerngruppen böten die Möglichkeit, dass Schüler im Falle einer »Minderleistung«, in diesem Teilbereich zum Beispiel in einen anderen Leistungsbereich der Lerngruppe wechseln. Besteht jene »Minderleistung« nicht mehr, wird in die ursprüngliche Lerngruppe zurück gewechselt.

   Das funktioniert aber nicht nur bei »Minderleistungen«, sondern auch bei Begabungen. Dort wechselt man in die höhere Leistungsgruppe in diesem Teilbereich. Mathematisches Verständnis z. B. könnte der Grund sein.

   Der Vorteil des Wechsels in »Fächer« in eine andere Leistungsgruppe liegt auf der Hand.

   Sitzenbleiben, der damit verbundene Klassenwechsel kommt einer Stigmatisierung gleich und wird so ausgeschlossen. Begabungen werden gefördert und auch hier die Lust am Lernen erhalten.

Schwächen des Jahrgangsklassenprinzips zeigt sich schon bei den Jüngsten, obwohl sie nicht sitzenbleiben können. Klick um zu Tweeten

   Klassenwechsel, einer meiner Kritikpunkte, insbesondere bei der Rücknahme des Regelunterrichts in altersgemischten Klassen der flexiblen Schuleingangsphase in der Grundschule.

   Obwohl man ohne den Makel des »Sitzenbleibens« und ohne Vermerk auf dem Zeugnis bis zu drei Jahre Zeit hat, die Eingangsphase zu durchlaufen, wirkt sich eine längere Verweildauer negativ aus. Ist die flexible Schuleingangsphase in Jahrgangsklasse organisiert bedeutet dies, dass eine Sitzenbleiber-Stigmatisierung stattfindet, wenn man sie nicht in der »Normalzeit« von zwei Jahren durchläuft. Einziger Grund hierfür ist der Klassenwechsel von einer in der andere Jahrgangsklasse, mit all den dazugehörenden Konsequenzen. Besonders junge Kinder leiden sehr unter einem Wechsel der Bezugspersonen und des Klassenverbandes.

Notengebung und Unterrichtsorganisation verhindern Inklusion. Klick um zu Tweeten

   Kommt zusätzlich der Inklusionsgedanke hinzu, so sehe ich keine alternative Möglichkeiten um

  • den Unterricht zu individualisieren.
  • Durchlässigkeit in den Lerngruppen anzubieten.
  • Noten als Werkzeug der Leistungsbewertung und Selektion abzuschaffen.
  • eine Änderung der Lehrerrolle auf Grundlage des individualisierten Lernens hin zum Moderator, Unterstützer und Lerncoach stattfinden kann.
  • Lernen mehr Raum zu individualisiertem Lernen zu ermöglichen.
Der Wille zur Schulentwicklung fehlt. Klick um zu Tweeten

   Es hilft nicht, über eine Auswirkung des Schulsystems wie das Sitzenbleiben zu diskutieren, wenn die Bereitschaft fehlt, die Grundlagen hin zu einer lebenswerten Schule zu verändern.

   Gerade, als ich diesen Beitrag fertig geschrieben hatte, kommt von Focus-Online via DPA die Meldung herein, dass in Rheinland-Pfalz im laufenden Schuljahr 6035 Schüler die Klasse wiederholen. Das sind 1,8% der Schüler, die wiederholen mussten. Der gleiche Stand wurde im vorherigen Schuljahr festgestellt.