Sechs! Setzen!
Ich glaube, dass dieser Ausspruch aus dem Film „Die Feuerzangenbowle“ stammt, bin allerdings nicht sicher.
Sechs! Setzen!
Jeder weiß sofort, was damit gemeint ist – Versagen auf der ganzen Linie! Eine schlechtere Note gibt es nicht und damit sind fast alle Chancen geschwunden, sich zu verbessern.
Sechs! Setzen!
Dieser Ausspruch war sicherlich nicht oft zu hören und überzeichnet geradezu die Negativbewertung, die mit unserem schulischen Notensystem einhergegangen ist und über Jahrzehnte praktiziert wurde und auch heute noch das Maß aller Dinge ist, wenn es darum geht, Leistung einzuschätzen und Grundlage einer Entscheidung für die weitere Schullaufbahn.
Sechs! Setzen!
Ein Ausspruch, der nicht mehr zeitgemäß ist unter den Vorgaben der aktuellen Richtlinien und Lehrplänen, die in fast allen Bundesländern als zentrale Aussage haben: individuelles Lernen und Kompetenzvermittlung.
Paradigmenwechsel
Dieser Paradigmenwechsel führt zu Verunsicherungen nicht nur bei der Elternschaft, sondern auch bei den Lehrerinnen und Lehrern, die nun ihren Unterricht methodisch-didaktisch anders aufbauen müssen.
„Wer als Lehrer nach dem Motto verfährt, ich behandle alle meine Schüler gleich, hat die eigentliche Herausforderung dieses Berufes nicht verstanden.“ Prof. Elsbeth Stern
Dieses kurze Zitat von der von mir sehr geschätzten Professorin Elsbeth Stern zeigt diesen Paradigmenwechsel deutlich. Allerdings auch, dass nicht nur Lehrer diesen Paradigmenwechsel vollziehen, sonder Eltern dies mittragen müssen!
Mögliche Wege
Wie kann man aber nun das „Sechs! Setzen!“ vermeiden?
Ganz einfach, indem man die Beurteilungskriterien verändert und individualisiert. Das beinhaltet allerdings ebenfalls, dass, wie schon oben angedeutet, der Unterricht sich ebenfalls ändern muss. Weg von der Ausrichtung an der Leistungsfähigkeit eines Großteils der Schüler, hin zum individuellen Lernen eines jeden Schülers.
Individuelles Lernen
Über individuelles Lernen und offenen Lernumgebungen habe ich hier schon häufig geschrieben, sodass ich mich nun auf die Leistungsbewertung konzentrieren möchte.
Leistungsbewertung
Als Eltern bewahrt man meist die Zeichnungen und Bilder der eigenen Sprösslinge auf. Schaut man diese nach einiger Zeit wieder an, so ist an diesen Bildern deutlich abzulesen, dass es eine Leistungsveränderung gegeben hat. Meist erkennt man, dass die feinmotorischen Fähigkeiten sich wesentlich verbessert haben schon daran, dass die Bilder detailreicher geworden sind und beim Ausmalen eine genaue Einhaltung der Bildbegrenzungen stattgefunden hat. Gleichzeit sieht man auch, dass immer mehr Details in die Bilder einfließen – das Kind sein Lebensumfeld differenzierter wahrnimmt.
Ähnliches habe ich schon vor über zwanzig Jahren in meiner Klasse gemacht. Da gab es einen Ordner, in den jedes Kind angefertigte Arbeiten abheften sollte. Von der ersten Zeichnung bei der Einschulung bis hin zu komplexen Arbeiten, die im 4. Schuljahr angefertigt worden sind.
Dies war nur eine einfache Sammlung und hatte nicht mit den heutigen Anforderungen an ein Portfolio zu tun, zeigte aber auch so eine stetige Entwicklung.
Portfolio als Grundlage der Leistungsbewertung
Bei der Portfolioarbeit, eine Möglichkeit der Leistungsbewertung in der Schule, sind die Voraussetzungen allerdings etwas anders. Die Kriterien, die für die Beurteilung eines Portfolios wichtig sind, werden im Vorhinein mit den Schülern erarbeitet und zwischendurch immer wieder mittels Rückmeldung besprochen. Erst, wenn der Schüler mit der eigenen Arbeit zufrieden ist, kommt diese ins Portfolio und wird bewertet. Dies gilt zum Beispiel auch für die Rechtschreibleistung.
Andere Beurteilungskriterien und Möglichkeiten der Individualisierung
Aber auch die Rechtschreibleistung kann mittels eines Diktates in die Bewertung mit einfließen. Das bedeutet dann allerdings auch, dass dieses Diktat nicht wie Sie und ich es noch kennengelernt haben, nach dem Motto geschrieben wird: „Hefte raus. Mäppchen als Sichtschutz aufbauen. Wer abschreibt, bekommt eine Sechs.“, sondern hier wird ebenfalls eine individuelle Variante des Diktatschreibens angewandt.
Diktat einmal anders
Beispielhaft möchte ich das mögliche Vorgehen am Beispiel eines 3. Schuljahres beschreiben:
Die Schüler erhalten einen Text, der später als Diktattext geschrieben werden soll.
Schon hier ist eine Differenzierung möglich, indem man nicht ganz so leistungsstarken Schülern den zu übenden Text begrenzt.
Übungsmöglichkeiten habe ich im Artikel „Rechtschreibübungen oder Diktat üben“ beschrieben, sodass ich an dieser Stelle nicht noch einmal ausführlich darauf eingehen möchte.
Die Übungsphase, die nicht nur zu Hause stattfinden muss, sondern durchaus auch einen festen Platz in offenen Lernumgebungen haben kann, wird festgelegt. Zum Beispiel vierzehn Tage nach Erhalt des Diktattextes.
Sicherlich müssen Kinder an das Üben zwischendurch erinnert werden. Das kann in der Schule geschehen, besser ist es allerdings, die Eltern einzubinden, da diese so selbst erkennen können, welche Fortschritte ihr Kind gemacht hat.
Üben auch im Offenen Ganztag
Auch im Offenen Ganztag kann Zeit für diese Form der Übung zur Verfügung gestellt werden. Hausaufgaben sind in Zeiten des Offenen Ganztages überdenkenswert, denn beide schließen sich aus. Die Einplanung einer individuellen Übungs- und Lernzeit bietet sich hier an. Auch altersgemischt durchgeführte Projekte können ein Weg weg von Hausaufgabe und hin zu individuellem Lernen Offenen Ganztag sein. Siehe auch hier: „Der Offene Ganztag und die Hausaufgaben an einer Brennpunktschule“.
Das Schreiben des geübten Textes als Diktat
Nach Abschluss der Übungsphase schreiben die Schüler das Diktat innerhalb der Unterrichtszeit, die für offene Lernumgebungen eingeplant worden ist.
Binnen Wochenfrist muss dann jeder Schüler das Diktat als Partnerdiktat, Selbstdiktat, Schleichdiktat oder einer anderen Schreibemöglichkeit geschrieben haben.
Korrektur – ohne Noten und Ausgabe der Fehlerzahl
Anschließend werden die Diktate korrigiert. Normalerweise wird das falsch geschriebene Wort mit Bleistift unterstrichen. Bei rechtschreibstarken Schülern reicht ein Bleistiftstrich am Rand der Zeile, in der der Fehler zu finden ist. Sind noch recht viele Fehler im Text, so wird der Text noch einmal möglichst fehlerfrei abgeschrieben.
Das Ausweisen der Gesamtfehlerzahl unter dem Text ist unnötig, denn Schüler können zählen und ich behaupte hier, sich und ihre Leistung auch sehr gut einschätzen. Hier geht es aber darum, positiv zu verstärken und deshalb wird auf die Angabe der Fehlerzahl grundsätzlich verzichtet. Auch auf das Schreiben einer Note unter den Diktattext wird verzichtet, da das Diktat nur eine von vielen Grundlagen der Beurteilung der Rechtschreibleistung ist.
Motivieren
Motivierende Worte wie: „Schon wieder weniger Fehler!“ gehören dagegen zum Standard und sollte zwar nicht inflationär verwendet werden, allerdings auch nicht zu sparsam. Positive Verstärkung beflügelt!
Beurteilung der Rechtschreibleistung
Bei der Beurteilung der Rechtschreibleistung werden alle vom Schüler geschriebenen Texte einbezogen. Die „Diktatnote“ ist demnach nicht relevant, sondern nur ein Kriterium von vielen.