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Schule verändert sich, muss sich verändern, damit unsere Kinder zukunftsfähig werden

Posted in Übers Lernen, Bildung, GU = Gemeinsamer Unterricht, Inklusion, Lernen, Nachdenkliches, Schule, and Standpunkt

Es ist für mich schon einigermaßen verblüffend, was in einer Diskussion über Inklusion für Meinungen geäußert werden.
Zu bemerken ist dabei immer wieder, dass in der Regel eine Klärung darüber erfolgen sollte, was Inklusion eigentlich ist.

Integration ist nicht Inklusion!
Integration findet überall dort statt, wo versucht wird, Menschen mit einer Behinderung zu integrieren. In Schulen ist das zum Beispiel im Gemeinsamen Unterricht von Behinderten und nicht behinderten Kindern der Fall. Sonderpädagogen fördern dann diese Kinder zusätzlich, sodass sie am Unterricht teilnehmen können.

Im Berufsleben ist es so, dass Menschen mit Behinderung bei gleicher Qualifikation bevorzugt einzustellen sind und der Arbeitsplatz entsprechend der Beeinträchtigung ausgestattet wird. Diese soll den Arbeitsprozess auch von einem Menschen mit einer Behinderung reibungslos beherrschbar machen.

Integration ist es, weil versucht wird, Menschen mit Behinderung die Welt von Menschen ohne Behinderung zugänglich zu machen und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit gibt, dort auf Augenhöhe am Arbeitsprozess teilzunehmen.

Inklusion ist da schon einen Schritt weiter, denn hier werden nicht Menschen mit Behinderung integriert, sondern jeder Mensch hat aufgrund seiner individuellen Fähigkeiten einen gleichwertigen Platz in der Gesellschaft.

Inklusion ist ein wichtiger Schritt auch im Umgang miteinander, denn er geht eindeutig weg vom Defizitdenken, so wie es heute in unserer Gesellschaft vorherrscht.

Nicht die Stärken eines Menschen sind im Fokus, sondern im Schwerpunkt dessen Schwächen. Danach wird selektiert und das schon in jungen Jahren, wenn es um die Schullaufbahn geht, die eingeschlagen werden soll. Vorher hat schon eine vierjährige Selektion stattgefunden, die in den Noten ablesen lässt, die ein Schüler bis dahin erhalten hat.

Schon Nachhilfe in der Grundschule ist der künftige Schulweg ihrer Sprösslinge den Eltern viel Geld wert. Leider wird dabei allzu häufig vergessen, dass dabei nicht nur der Spaß am Lernen auf der Strecke bleibt, sondern dieser Weg in der Regel nicht das ganze Schulleben durchgehalten werden kann.

Aber, warum sind wir denn so fixiert auf Selektion und Auslese? Dazu muss man ein wenig in der Zeit zurückgehen und sich mit dem Beginn der flächendeckenden Beschulung aller Kinder beschäftigen.

Die industrielle Revolution forderte von den Menschen, dass sie des Lesens und Schreibens mächtig sein müssen, denn anderes war es kaum möglich, Bedienungsanleitungen für die immer komplizierter werdenden Maschinen zu lesen.

So wurde unter Bismarck das damals modernste Schulsystem der Welt geschaffen, das nicht nur Kindern betuchter Eltern Bildung vermitteln sollte. Kinder reicher Eltern erlernten das Schreiben und Lesen schon lange in privaten Schulen oder durch Hauslehrer.

Nun sollten also auch Kinder von Arbeitern das Lesen und Schreiben erlernen, ein bisschen Rechnen dazu und natürlich auch ein bisschen weitere Bildung, wie es einem Mitglied aus dem Land der Dichter und Denker gut zu Gesicht stand.
Wissen ist aber auch Macht und die Macht war schon lang verteilt, sodass es wirksame Barrieren brauchte, um einen Schichtwechsel möglichst zu erschweren.

Dies wurde in Bezug auf Schule berücksichtigt. Die Einteilung in Klassen war willkürlich und mehr ein Verwaltungsakt als eine pädagogische Maßnahme.
Klassenarbeiten, und Noten waren das Selektionsmittel, um einen Wechsel zum Gymnasium und damit in die nächst höherer „Klasse“ zu verhindern. So blieb man unter sich und schaffte es trotzdem, die benötigten Fähigkeiten zur Bedienung von Maschinen zu vermitteln.

Dieser Selektionsgedanke hat sich so bei vielen Menschen verinnerlicht, dass auch heute noch die Note und der Gang zum Gymnasium das Maß aller Dinge ist, obwohl empirischen Studien eindrucksvoll belegen, dass Notengebung und Jahrgangsklassen keinen pädagogischen Sinn ergeben.

In den Köpfen vieler Eltern ist dieses System verhaftet, denn sie haben es selbst erfolgreich oder auch nicht so erfolgreich durchlaufen.

Auch in den Köpfen vieler Lehrer ist dieses System wie eingebrannt, denn sie haben in der Regel kein anderes System kennengelernt. Gleichzeitig ist die Note und der Notenschnitt Legitimation der eigenen pädagogischen Arbeit.

Gerade in Bezug auf die Lehrerausbildung würde ich mir wünschen, dass vor der Ausbildung mindestens ein Jahr in einem Betrieb, wenn nicht sogar eine andere Berufsausbildung vorgeschaltet werden sollte. Aber das nur am Rande.

Zurück zum eigentlichen Thema:

Es gibt auch heute keine homogenen Klassen – es hat sie nie gegeben. So ist immer versucht worden, sich irgendwo an den Leistungen des Mittelfelds der Klasse zu orientieren und von diesem Leistungsmittel die Noten zu berechnen. Wer mit seinen Leistungen über diesem Mittel lag, bekam dann ein Zwei oder gar eine Eins. Wer diesem Mittelfeld entsprach, bekam eine Drei und wer mit seinen Leistungen unterhalb dieses Mittelfelds lag, bekam eine Vier. Sicherlich ist das in etwas schematisch dargestellt, aber es trifft den Kern.

Die Schüler mit überwiegend „Zweien“ oder besser, gehen zum Gymnasium.
Die Schüler mit überwiegend befriedigenden Leistungen zur Realschule und alle anderen Kinder besuchten die Hauptschule.

Eine saubere Trennung zwischen Akademikern, Angestellten und Arbeitern.

Heute weiß man nun, und die aktuelle Hirnforschung bestätigt dies, dass Lernen nicht nach diesen Vorgaben funktioniert.

Lernen ist ein individueller Vorgang, der nur durch das Individuum selbst geleistet werden kann. Reformpädagogen haben dies schon früh erkannt. So hat Maria Montessori durch ihre Beobachtungen festgestellt, dass es bei jedem Menschen in einem bestimmten Alter sensible Phasen gibt, in der ein besonderes Interesse zum Beispiel für Mathematik, Buchstaben und das Lesen und Schreiben, aber auch für Dinge des alltäglichen Lebens gibt.

Wenn Sie mehr als ein Kind haben, werden Sie sicherlich bestätigen, dass Ihre Kinder zu unterschiedlichen Zeiten sauber waren, das erste Wort gesprochen und die ersten Schritte gemacht haben. Ebenso werden Sie bestätigen, dass Ihre Kinder diese Schritte gegangen sind, ohne dass Sie ihnen haben sagen müssen, jetzt lauf mal.
Beide Kinder haben diese grundlegenden Dinge aus eigenem Antrieb gelernt. Sie haben sie nur unterstützt, indem Sie beim Laufenlernen den Fingern hingehalten haben, an dem sich Ihr Kind festhalten konnte; Fragen nach dem Buchstaben beantwortet haben und schon lange vorher immer wieder mit Ihrem Kind gesprochen haben, sodass es die Sprache lernen konnte.

Was Sie da ganz unbewusst gemacht haben, nennt man individuelle Förderung!

Das ist das, was heute laut Richtlinien und Lehrplänen in NRW und allen anderen Bundesländern in der Schule von den Lehrern geleistet werden soll.

Das ist richtig und gut so, denn nur so kann die Freude am Lernen ein Leben lang erhalten bleiben.

Mit dem Lernen untrennbar verknüpft ist allerdings auch das Fehler machen, das Fehler machen dürfen, ja sogar das Fehler machen müssen! Denn aus den Fehlern lernt der Mensch. So ist er in der Lage, erworbenes Wissen auf andere Dinge zu übertragen und durch erworbene Lösungsstrategien auch bisher unbekannte Probleme erfolgreich zu lösen.

Diese Lösungsstrategien sind deshalb so wichtig, weil die heutige Welt viel von der Beschaulichkeit durch den rasanten Fortschritt und die Möglichkeiten des Internets verloren hat. Konnte man in den 80-igern noch ein Auto reparieren, wenn man mit seinem in der Lehre erworbenem Wissen und ein zweihundertfünfzig Seiten starken Handbuch aus, so ist durch Elektronik und Technik ein ganz anderes Wissen gefordert und statt eines zweihundertfünfzig Seiten starkes Handbuch muss man heute die Diagnosegeräte beherrschen und sich in einem Handbuch von zweitausendfünfhundert Seiten zurechtfinden. Hinzu kommt, sich ständig durch Weiterentwicklung ändernde Technik, die ebenfalls wieder beherrscht werden muss, auf dem Laufenden zu halten.

Die Zeiten, als man mit dem in der Lehre erworbenem Wissen ein Leben lang auskommen und arbeiten konnte, sind eindeutig vorbei.

Demzufolge muss sich auch das Lernen ändern!

Liegt der Schwerpunkt nun auf individuelle Förderung, so wie er in den Richtlinien und Lehrplänen des Landes NRW vorgeschrieben ist, so wundert es nicht, dass die Klassenarbeit die Ausnahme ist und eine Benotung nur noch in den Hauptfächern zulässig ist. Andere Formen der Leistungsmessung und Leistungsbeurteilung sind gefragt und sollen, da reproduktives Lernen in den Hintergrund getreten und Kompetenzvermittlung stattfinden soll, nicht nur den Eltern sondern auch den Schülern Auskunft darüber geben, wo Stärken liegen und Kompetenzen schon erworben worden sind.

Grundlage der Leistungsbeurteilung kann ein Lerntagebuch, ein Portfolio oder andere mögliche Formen der Dokumentation sein. Überflüssig sind Klassenarbeiten, wie wir sie kennen und natürlich anboten, denn die haben nie irgendetwas über die Leistung eines Menschen ausgesagt.

Wie erfolgreich individuelles Lernen funktioniert, wenn der Lehrer Moderator, Helfer und Unterstützer bei Lernprozessen der Kinder ist, zeigt der starke Zulauf zu reformpädagogischen Schulen, der seit Jahrzehnten ungebrochen ist und sich wieder verstärkt. Dabei ist es egal, ob es sich um eine Montessori-, Petersen- oder Freinet-Schule handelt – Hauptsache altersgemischt und individuelles Lernen werden unterstützt. So profitiert jeder Schüler einer Klasse von der Heterogenität, der Vielfalt der Klassengemeinschaft!