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Mein ganz persönlicher Jahresrückblick.

Posted in Ich über mich, Nachdenkliches, and wasmirindensinnkommt

   Jede Veränderung verunsichert. Manche verängstigt, wenn sie existenzbedrohend wirkt oder ist. Vertrautes schafft Sicherheit und einen Rahmen, in dem man leben, arbeiten und sich bewegen kann.

   Meine Veränderung kam zum 1. April, als ich krankheitsbedingt aus dem aktiven Dienst ausgegliedert wurde. Es ist richtig, mit meiner Depression hätte ich nicht mehr im täglichen Schulbetrieb arbeiten können. In leitender Funktion nicht und auch nicht als normaler Lehrer. Das System hätte mich wieder gefangen genommen.
   Bedauerlich, dass man in unserem Bundesland nicht wie in Hamburg in einer anderen Funktion hätte weiter tätig sein können. Erfahrungen eines langen Lehrerlebens wären auf diese Art und Weise nicht verloren gegangen, sondern hätte eine, wie sagt man heute so schön, Win-win-Situation für das Land und mich sein können. Mit vielen Dingen, die heute dringend in Schule benötigt werden, wie Inklusion, Medienkompetenz, Offene Lernumgebung, habe ich mich intensiv beschäftigt und teilweise jahrelange Erfahrungen sammeln können.
   Warum ich Ihnen das erzähle? Weil es sich um die Gedanken handelt, die mich am Anfang meines Ausscheidens aus dem Arbeitsleben stark beschäftigt haben. Zwischendurch immer noch beschäftigen. Ich nicht verstehe, warum man auf diese, also meine, Arbeitskraft an anderer Stelle einfach verzichtet.
   So ein bisschen, ein ganz Kleines bisschen kann ich nachempfinden, wie sich jemand fühlt, der arbeitslos geworden ist. Noch schlimmer muss es sein, wenn man arbeitslos geworden ist und altersbedingt so gut wie keine Chance mehr hat, jemals wieder in den Arbeitsprozess eintreten zu können.

   Die Rhythmisierung des Tages durch das Ritual Arbeit fällt weg und damit fließt die Zeit, in der ich mitgetrieben bin. Mitgetrieben, ohne eigene Aktivität. Auf dem Sofa sitzend, vor dem Fernseher, mit einem Hörbuch, einfach nur so. Keine Aufgabe! Keine Pflicht! Schwerelos im Fluss der Zeit. Sehend, was um mich herum passiert, teilnahmslos und kaum fähig, selbst aktiv zu werden. Unendlich Schwere, keine Chance, den Körper vom Sofa zu heben, mich einzumischen und mitzumachen.
   Eine Eigendynamik entwickelte sich, die den Fluss in gleichem Maße erhöhte, in der sich die Teilnahmslosigkeit verstärkte.
   Strudelmäßig, immer schneller. Sehend, wie die Familie mit mir leidet und nicht weiß, wie sie helfen kann. Gedanken, die sich ebenso schnell drehen, wie der Strudel, indem ich mich befinde. Zuweilen auch rascher.

    Dazwischen Gedankenblitze, wie kleine Rettungsanker!

  • »Du musst was tun!
  • Beeil dich, sonst kommst du hier nicht mehr raus und sitzt bis zum Tod alleine auf dem Sofa!
  • Bist du auch alleine!
  • Tu was!«

   Die Lösung so nah und doch keine Kraft, den Rettungsanker zu ergreifen.

   Das ging eine ganze Weile so. Zwischendurch begann ich damit, mich zu zwingen, regelmäßig mein Krafttraining durchzuführen. Radfahren kam hinzu – wie hatte ich das vermisst. Ich spürte, wie das Leben sich in mir regte – wie ein zartes Pflänzchen.
   Eine Aufgabe musste her. Ohne Aufgabe, nur just for Fun, konnte dem sich regenden Pflänzchen nicht genügend Nahrung geben.
   Ein Ehrenamt! Ehrenamt ist gut, denn man tut etwas, was nicht nur gut für die eigene Person ist. Mehrere Ehrenämter ausprobiert und bei der Kölner Tafel gelandet. Meine Aufgabe gefunden und montags unterwegs. Nette Menschen, gute Gespräche und der erste Tag der beginnenden Woche. Die Marke ist gesetzt, eine bedeutende Marke.
   Aus dem Arbeitsleben ausgeschieden bedeutet auch, kein Wochenende mehr – der Arbeitsbeginn fehlt; keine Ferien mehr – wovon auch?; keine Krankschreibung mehr – was für eine Aufgabe hatte man denn noch, dass man sich krankmelden musste? Einige wichtige Dinge, die wegfallen!

   Die Anfangshürde war genommen. Gleich eine Aufgabe am ersten Tag der Woche. Nun noch den Rest der Woche strukturieren.
   Bin zwar durch die Depression immer noch angeschlagen, aber fühle auch die Kraft und die Ideen, die in mir sind. Sie wollen raus und ich will das zulassen. Nicht nur zulassen, sondern unterstützen.
   Mein Kinderbuch fällt mir ein, an dem ich seit über einem Jahr nichts mehr geschrieben habe. Die Gedanken, die mich dazu regelrecht ansprangen, habe ich bis heute noch nicht weitergeschrieben. Aber ich schreibe wieder. Schreibe über Dinge, die mich aufregen, wie über die Bedingungen für Radfahrer in Köln, schulische Texte und über alles, was mir in den Sinn kommt. So ist auch dieser Text entstanden. Ein Anfang! Mein Kinderbuch wird auch noch fertig.
   Mit meiner Kamera bin ich unterwegs, fotografiere und veröffentliche regelmäßig Bilder von mir. Habe einige bei uns in der Wohnung aufgehängt.

   Es gibt wenige Menschen, ich nenne sie Freunde, die immer noch Kontakt zu mir halten. Obwohl ich mich während meiner Krankheitsphase um nichts und niemanden gekümmert habe. Alle für mich unwichtigen Menschen sind aus meinem Leben verschwunden. Raum für neue Kontakte. Mir fallen die Zeilen aus Hermann Hesses Gedicht »Stufen« ein:

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

   Die Strukturen zeichnen sich wieder ab, ein Rahmen, in den ich alles packen kann, was mir wichtig ist. Sowohl Aufgaben als auch Schönes.
   Das Maß ändert sich allerdings. Die Aufgaben werden wie in meinem vorherigen Leben sicherlich nicht mehr den Raum einnehmen, den sie einmal übermächtig hatten. Darauf achte nicht nur ich, sondern zusätzlich meine Familie, ohne die ich diese Zeit nicht überstanden hätte.

   Ich bin übern Berg, wie man so schön sagt und inzwischen denke ich wieder des Öfteren voller Freude an das Gedicht von Joachim Ringelnatz

Morgenwonne
Ich bin so knallvergnügt erwacht.
Ich klatsche meine Hüften.
Das Wasser lockt. Die Seife lacht.
Es dürstet mich nach Lüften.
Ein schmuckes Laken macht einen Knicks
Und gratuliert mir zum Baden.
Zwei schwarze Schuhe in blankem Wichs
Betiteln mich »Euer Gnaden«.
Aus meiner tiefsten Seele zieht
Mit Nasenflügelbeben
Ein ungeheurer Appetit
Nach Frühstück und nach Leben.