Ich erinnere mich so gut an einen Schullandheimaufenthalt, als wäre er erst letzte Woche gewesen.
Wir waren nur knappe 50 km von Köln entfernt im Bergischen Land. Ein kleiner Ort, in dessen noch kleinerem Vorort wir waren. Ein Haus für uns alleine. Ein Bach davor mit einem Spielplatz. Den Bach konnte man an einem Seil hängend überqueren. Hinter dem Haus nur Gelände und ein Felskessel, der etwas Besonderes in großen Mengen hatte: Pyrit.
Es war so eine regenreiche Woche, dass wir die Kleidung der Kinder über Nacht kaum trocknen konnten und im ganzen Haus überall Kleidungsstücke aufgehängt waren.
Da wir in dem Haus keinen größeren Raum für alle hatten, waren wir trotz Regen viel draußen. Der Bach vor dem Haus hatte sich inzwischen von einem kleinen Rinnsal in einen reißenden Bach verwandelt, sodass wir das Überqueren am Seil hängend verboten hatten. Unabhängig davon ist einem Schüler die Mütze in den Bach gefallen. Wir konnten sie nicht mehr retten, da ich zur gleichen Zeit einen anderen Schüler aus dem Bach ziehen musste, der von der Böschung abgerutscht war, sich nur noch mühsam an einem Zweig festhalten konnte.
Der Schüler war gerettet, aber die Mütze war für immer weg.
Der Vater machte mir nachher Vorwürfe, weil es eine Edelmütze war, die ein paar D-Mark gekostet hatte. Ich habe mich bei ihm entschuldigt, dass ich lieber den Jungen gerettet habe, statt der Mütze hinterherzuschwimmen. Ich hatte das lustig formuliert, und er meinte, ich hätte richtig gehandelt, aber die Mütze sei sehr teuer gewesen.
Wir waren wieder mal losgegangen, als der Regen nachgelassen hatte und kamen in ein Gelände nicht weit vom Haus entfernt, in dem viele Steine lagen. Bei näherem Hinsehen, glitzerten sie.
“Gold!”, hörten wir einen Schüler laut rufen, während er schon damit begann, sich die Taschen mit Steinen zu füllen. Nichts half, ihn davon abzubringen. Kein Hinweis auf Katzengold, wie man dieses Gold auch nannte. Wir redeten mit Engelszungen auf ihn ein, aber er war von seinem Vorhaben nicht abzubringen. Auch nicht das Versprechen, dass wir noch mehrmals an dieser Stelle vorbeikommen würden und er sich immer noch Steine aussuchen und mitnehmen könne.
“Nein!”, beharrte er. “Vielleicht sind dann keine mehr da!”
Was macht man in solchen Fällen mit einem Schüler? Man lässt ihn gewähren. Er packte sich die Taschen voll und war glücklich.
Irgendwann geht jede Woche vorbei, auch diese. Viel Regen, aber mindestens ebenso viel Spaß hatten wir in dieser Zeit.
Am Vorabend unserer Abreise wurden die Koffer schon einmal so weit vorgepackt, wie es möglich war. Das Waschzeug, der Schlafanzug und was sonst vielleicht noch auftauchte, sollte am Morgen eingepackt werden. Alles was keinen Besitzer fand, packten wir in große blaue Säcke und nahmen es mit. Die Mütter würden schon die Sachen ihrer Kinder entdecken.
Am nächsten Morgen, der Bus stand schon vor der Türe, mussten noch die Koffer heruntergeschafft werden. Das war kein großes Problem, denn die kleineren Taschen hatten die Schüler schon mitgenommen. Ein Koffer rechts, ein Koffer links, ging es die Treppe runter zum Bus. Sechzig Kinder bedeute, dass ich dreißig Mal mit zwei Koffern zum Bus musste. Ich war fast fertig und griff nach den nächsten beiden Koffern. Den einen hob ich mühelos an, der andere hätte mich fast umfallen lassen, so schwer war er. Mit dem Gewicht hatte ich nicht gerechnet, konnte mich auch nicht daran erinnern, so einen schweren Koffer ins Haus getragen zu haben. Ich nahm einen anderen Koffer und ging zum Bus. Den schweren Koffer holte ich als letzten.
Ich bin kein schmächtiges Kerlchen und kann mich über Kraft nicht beklagen, bei dem Koffer wunderte mich allerdings, dass nicht der Griff abriss oder einfach der Reißverschluss platzte, so schwer war er. Gut über fünfzig Kilo wir er gehabt haben.
Dann war alles verstaut, wir saßen im Bus, sahen uns noch einmal um und waren dann schon fast in Gedanken wieder in Köln. Dort erwarteten uns die Eltern und wenn wir die ganze Woche auch nicht einen wirklichen Fall von Heimweh gehabt hatten, merkten wir doch, wie sehr sich die Kinder auf Zuhause freuten. Wir auch, denn Schullandheim ist anstrengend. Hinzu kam, dass wir von montags bis samstags gefahren sind.
Fünfzig Kilometer ist nicht allzu weit und so waren wir nach einer Dreiviertelstunde am Ziel angekommen. Ein Junge drängelte sich gleich aus dem Bus und wollte sofort an seinen Koffer. Er konnte es nicht erwarten, dass der Busfahrer endlich die Klappe zum Gepäckraum aufmachte. “Welches ist dein Koffer?”
“Der da.”, und er zeigte auf den schweren Koffer, den ich als letzten heruntergetragen hatte.
“Mama, komm schnell! Wir müssen sofort los!”, rief er seine Mutter, während ich den Koffer aus dem Bus hievte. Mir schwante etwas und ich musste unwillkürlich grinsen. “Schnell, Mama!”, sagte er wieder und griff nach dem Koffer.
“Was hast du vor?”, fragte sie ihren Sohn.
“Wir müssen zum Juwelier! Wir sind steinreich! Ich habe jede Menge Gold mitgebracht!”
Fragen sah sie mich an. Ich grinste übers ganze Gesicht und erzählte ihr die Geschichte. Auch sie lachte und sagte dann zu ihrem Sohn: “Komm, dann gehen wir erst einmal zum Juwelier.”
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https://de.wikipedia.org/wiki/Pyrit