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Kindheitserinnerung

Posted in Gedicht, Lustiges, Nachdenkliches, Rätsel, and wasmirindensinnkommt

„Verkehrte Welt“

Dunkel war‘s der Mond schien helle,
Schnee bedeckt die grüne Flur
als ein Auto blitzeschnelle,
langsam um die Ecke fuhr.

Drinnen saßen stehend Leute,
schweigend ins Gespräch vertieft,
als ein totgeschossner Hase,
auf der Sandbank Schlittschuh lief.

Und der Wagen fuhr im Trabe,
rückwärts einen Berg hinauf.
Droben zog ein alter Rabe
grade eine Turmuhr auf.

Ringsumher herrscht tiefes schweigen
und mit fürchterlichem Krach,
spielen in des Grases Zweigen
zwei Kamele lautlos Schach.

Und auf einer roten Parkbank, die blau angestrichen war,
saß ein blondgelockter Jüngling
mit kohlrabenschwarzem Haar.

Neben ihm ne alte Schrulle,
zählte kaum erst 16 Jahr,
In der Hand ne‘ Butterstulle,
die mit Schmalz bestrichen war.

Droben auf dem Apfelbaume,
der sehr süße Birnen trug,
hing des Frühlings letzte Pflaume
und an Nüssen noch genug.

Von der regennassen Straße
wirbelte der Staub empor
und der Junge bei der Hitze mächtig an den Ohren fror.

Beide Hände in den Taschen
hielt er sich die Augen zu.
Denn er konnte nicht ertragen,
wie nach Veilchen roch die Kuh.

Holder Engel, süßer Bengel,
furchtbar liebes Trampeltier.
Du hast Augen wie Sardellen,
alle Ochsen gleichen Dir.

Und zwei Fische liefen munter,
durch das Blaue Kornfeld hin.
Endlich ging die Sonne unter und der graue Tag erschien.

Und das alles dichtet Goethe
Als er in der Morgenröte
Liegend auf dem Nachttopf saß
Und dabei die Zeitung las.

– Christian Morgenstern

Ein Gedicht aus meiner Kindheit, das immer viel Freude bereitet und zum Weiterdichten animiert hat.