Ich höre fast das Aufatmen vieler Kollegen.
- Das haben wir immer schon gesagt, dass das nicht mit rechten Dingen zugeht!
- Jetzt kommt es raus!
- Auch die Finnen kochen nur mit Wasser!
- Der Unterricht, wie wir ihn seit Jahrzehnten machen, ist richtig und das Beste für unsere Schüler!
Wenn ich noch einen Augenblick nachdenke, fallen mir sicherlich noch viel mehr Kommentare dazu ein.
Kann man sich nun entspannt zurücklegen und weitermachen wie bisher? Share on X
Nein, ein ganz entschiedenes Nein!
Nur weil sich herausstellt, dass dieses Politiker- und Expertenreisen nach Finnland nur oberflächlich war, weil niemand sich darum bemüht hat, einmal hinter die Kulissen zu schauen, kann und konnte man die Ergebnisse so nicht übertragen. Im Grunde waren sie für unser Schulsystem nie relevant, da wir andere Voraussetzungen haben.
Sind alle Lehrer an deutschen Schulen gut ausgebildet? Share on X
Die Unterschiede fangen schon mit der Auswahl der Lehrer an, denn nur die besten eines Jahrgangs können überhaupt den Lehrberuf ergreifen. Hier ist das anders. Jeder kann Lehrer werden, wenn er die Prüfung geschafft hat. Man kann sogar als Lehrer arbeiten, wenn man keine Lehrerausbildung hat, aber in einem Fach eine Qualifikation nachweisen kann. Zum Beispiel C1 in Englisch. Das geht immer dann, wenn eine Schule eine Stelle „schulscharf“ ausschreibt. Eine echte Qualifizierung ist das nicht und im Grunde ist es kaum zu rechtfertigen, dass man so vorgeht. Es ist ein Indiz dafür, wie wichtig Bildung an den Schaltstellen der Macht wirklich ist.
Nebenbei, ich halte eine Beamtung von Lehrern für kontraproduktiv. Aber dazu in einem anderen Artikel mehr dazu.
Autorität ist wichtig, ein autoritärer Unterrichtsstil ebenfalls? Share on X
Jetzt, so wird berichtet, liegt der Erfolg an starken autoritären Stellung des Lehrers und, wie kann es anders sein, am Frontalunterricht.
Nicht, dass der falsche Eindruck entsteht, ich habe nichts gegen Frontalunterricht. Er ist vollkommen in Ordnung und sinnvoll zum Beispiel bei der Einführung einer Rechenart in Mathematik, in der Rechtschreibung usw..
Frontalunterricht ist, wie andere Unterrichtsformen alleine, allerdings nicht selig machend, auf die Mischung kommt es an.
Aber weg, von Finnland und hin nach Deutschland.
Haben alle Menschen gleiche Voraussetzungen, wenn es ums Lernen geht? Share on X
Hier in Deutschland herrscht der Gedanke vor, dass man alle Menschen gleich machen muss. Das geht nicht, denn schon mit der „Wahl der Eltern“ beginnt die Ungleichheit. Eine Gleichmachung über die Senkung von Anforderungen ist ebenfalls der falsche Weg. Die Gewährung von Möglichkeiten der Chancennutzung ist meines Erachtens der richtige Ansatz. Bildung ist keine Bringschuld, man muss für sich selbst schon aktiv werden und die gebotenen Chancen nutzen.
Mit den Worten: Der hat es im Leben so schwer, wir können nicht verlangen, dass er seine Hausaufgaben macht! wird die Spur in die falsche Richtung gelegt. Das Denken, ich bin benachteiligt und alle anderen müssen mir helfen, ist die Folge dieses Vorgehens. Es wird eine Opferrolle angenommen, die die meisten Menschen aus eigener Kraft nicht mehr verlassen können.
Diese, ich nenne es mal Pille-Palle-Pädagogik, hilft den Kindern nicht. Häufig kommen diese Kinder aus bildungsfernen Schichten und benötigen Anleitung, Zuwendung und auch Anforderungen. Leistungen, die erbracht werden, stärken das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein. Das ist Grundlage dafür, Leistungsbereitschaft zu entwickeln.
Jeder Mensch will lernen und sich auch mit anderen Menschen messen, im Wettbewerb stehen. Das ist natürlich und leistungsfördernd. Wenn aber schon ein Wettbewerb wie die Bundesjugendspiele per Petition abgeschafft werden soll, kann kein Schüler daran arbeiten, seine Leistungen zu verbessern und auch mal mit einer Niederlage fertig zu werden.
Auch ich habe nie eine Urkunde bekommen, ich war zu groß und zu schwer, um wirklich schnell laufen und weit springen zu können. Für die Weiten, die ich mit dem Schlagball erreichte wurde ich allerdings bewundert.
Auch mit Niederlangen muss man lernen umzugehen. Share on X
Nicht die Bundesjugendspiele sind das Problem, sondern die Tatsache, dass man Kindern vorenthält, mit Niederlagen umzugehen.
Das A und O ist die Leistungsbereitschaft und der Wille, sich den Leistungsanforderungen zu stellen. Share on X
Das geht allerdings bei der Vielfalt von Menschen und Interessen nicht immer über reproduktives Lernen. Die Motivation wird durch die Note auch nicht gesteigert, abgesehen davon, dass sie nur in dieser einen Art des Lernens vielleicht eine Berechtigung hat. Nämlich dann, wenn auf den Punkt genau das Wissen zur Verfügung gestellt werden muss. Das heißt nicht, dass Üben überflüssig ist. Üben ist wichtig, ohne lernt man kein Einmaleins, keine Rechtschreibung, kein Tennis und auch kein Fußball. Richtig gut lernt man allerdings nur, in einer wertschätzenden Umgebung, in der Fehler nicht zur Ächtung führen, sondern als Teil des Lernprozesse verstanden werden. Lernen kann man nur dort gut, wo man wohlwollend und emphatisch unterstützt wird. Man kann allerdings nicht mehr lernen, als das eigene Lernvermögen, das sicherlich steigerbar ist unter guten Bedingungen, hergibt. Dessen muss man sich, gerade auch mit Blick auf Inklusion bewusst machen.
Deshalb dürfen wir auf keinen Fall den zögerlich beschritten Weg aufgeben. Individuelles Lernen fordert ein Umdenken, vielleicht sogar andere Lehrer, aber mit Sicherheit ein anderes Denken über Schule.
Beispiele, was Schüler leisten können, wenn man sie lässt. Share on X
Mit meinen Schülern habe ich an Wettbewerben teilgenommen. Mein Faible für Geschichte hat sich wohl übertragen. Als ein neuer Wettbewerb anstand, an dem sie teilnehmen wollten, wurde das Thema demokratisch ermittelt. Leider wurde ich überstimmt und so war das Thema das mittelalterlich Köln.
Heute ist dieses landesweit ausgezeichnete Projekt „Mittelalterstadt-Koeln“ immer noch im Internet zu sehen. Eine Projektdokumentation befindet sich ebenfalls auf diesen Seiten.
Aus diesem Projekt leitet sich ein neues Projekt ab: Kinder helfen Kindern lernen.
Durch den Verkauf einer CD-ROM der Mittelalterstadt-Koeln wurde ein Patenkind in Vietnam finanziert.
Selbst die Buchführung, eine einfache Einnahme-Überschussrechnung erstellten die durch die Schüler selbstständig. Von Grundschülern eines 3. und 4. Schuljahres! Auch dieses Projekt wurde ausgezeichnet.
»Da fand der Detektiv eine Räuberspur« war ein Projekt an einer Brennpunktschule mit überwiegend Schülern mit Migrationshintergrund, das ich in Zusammenarbeit mit einem außerschulischen Partner in den Sommerferien durchgeführt habe.
Oder die Fahrradtour zur Klassenfahrt nach Hückeswagen mit einem 3. und 4. Schuljahr , die über 60 km von Köln nach Hückeswagen im Bergische Land führte.
Oder das Projekt „Experimente – Projekt an einer Brennpunktschule“, ebenfalls an einer Brennpunktschule durchgeführt.
Es gibt noch viele weitere Beispiele, die allerdings nicht immer in dieser Ausführlichkeit dokumentiert wurden. Alle zeigen allerdings auf, welche Leistungen Schüler erbringen, wenn sie Spaß beim Lernen haben und gefordert werden.
Immer gab es allerdings auch Frontalunterricht in den Projektzeiten, da dafür nicht die gesamte Unterrichtszeit reserviert war. Mathe und Deutsch und noch einige andere wichtige Grundlagen mussten ebenfalls gelernt werden.
Auf die Mischung kommt es an!
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