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Das Ziel „Lebenslänglich“ – Fluch oder Segen?

Posted in Bildung, Inklusion, Lehrer, Nachdenkliches, Politik, Sachtext, Schule, Schulentwicklung, and Standpunkt

Lebensplanung steht auf wackligen Beinen. Klick um zu Tweeten

   Ein Arbeitsleben von 45 Jahren ist heute sicherlich eine Ausnahme und schon lange nicht mehr die Regel. Eine Betriebszugehörigkeit zur gleichen Firma über das gesamte Arbeitsleben gibt es vermutlich nicht mehr. Flexibilität und Mobilität sind gefragt. Sie sollen das wirtschaftliche Überleben sichern und unser Land zukunftsfähig machen und halten. Wer sich diesen Vorgaben nicht mehr anpassen kann oder sich verweigert, wird aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem aktiven Arbeitsprozess aussortiert. Dies kann allerdings auch durch Managementfehler passieren, wie man im Moment beim massiven Stellenabbau bei Siemens eindrucksvoll verfolgen kann. Trotz höchster Qualifikation und ohne Eigenverschulden geht es mit schnellen Schritten Richtung Hartz IV.  Eine sichere Lebensplanung, wie sie Generationen vor uns noch kannte, gibt es nicht mehr. Die negativen Auswirkungen dieser Entwicklung kann man, wenn man nicht mit geschlossenen Augen durch die Welt geht, beobachten.

Lebenslänglich = Strafe oder Lebensgrundlage? Klick um zu Tweeten

   So oder so ähnlich stellt sich das Berufsleben für die meisten Menschen dar. Für die meisten Menschen, denn es gibt eine Berufsgruppe, die das nicht betrifft. Die selbst über ihre Arbeitszeit hinaus in der Institution, in der sie arbeiten, verhaftet sind, ohne sie ein einziges Mal verlassen zu haben.

Früher Beginn beim künftigen Arbeitgeber. Klick um zu Tweeten

   Die Berufslaufbahn beginnt mit dem Eintritt in den Kindergarten. Sie setzt sich fort in der Grundschule und anschließend bis zum Abitur am Gymnasium. Mit Aufnahme des Studiums könnte der Eindruck entstehen, dass dies der Zeitpunkt ist, an dem die Institution verlassen wird. Dem ist allerdings nicht so. Es ist nur ein bisschen anders. Etwas mehr »Freiheit« ist angesagt. Wer allerdings vorher in der Schule nicht gelernt hat, selbstständig zu arbeiten und zu lernen, schwimmt ein wenig ohne Orientierung durch das erste Semester an der Uni. Ist das Studium abgeschlossen, beginnt das Referendariat. Was hier zählt, ebenso wie im Studium, ist die zu erreichende Note bei der Abschlussprüfung. Dafür wird alles getan. Referendare unterwerfen sich total dem Notendiktat. Denn nur eine gute Note erhöht die Chance, in dieser Institution ein Leben lang verbleiben zu können. Diese Zeit hat wenig mit Ausprobieren der Möglichkeiten zu tun, auch nicht mit der Findung der eigenen Rolle in diesem System. Vielmehr werden zusätzlich zum Notenkampf weitere Qualifikationen erworben, die einen Aufenthalt in diesem System sichern sollen. Die Rettungsfähigkeit, die Englisch-Qualifikation, die Missio oder Vocatio und was weiß ich nicht noch alles für mögliche Befähigungen dazugehören können.

Endlich am Ziel und Mitglied auf Lebenszeit in dieser Berufsgruppe. Klick um zu Tweeten

   Ist diese Hürde genommen, eine Anstellung zum Beamten auf Probe ausgesprochen, ist man schon fast im System verankert. Ein Nachweis muss noch erbracht werden, dann ist man Beamter auf Lebenszeit und man hat die berufliche Stabilität, die Sicherheit, die keine andere Berufsgruppe hat. Man ist Lehrer und verbleibt, wenn man keine silbernen Löffel klaut, bis zum Ende des Arbeitslebens dieser Institution verhaftet. Ob man nach dem Arbeitsleben sein Lehrersein ablegen kann, wage ich vorsichtig zu bezweifeln. :-)

Auswirkungen auf das eigene Handeln und auf die Institution Schule. Klick um zu Tweeten

   Diese lange Verweildauer in Schule hat selbstverständlich auch Auswirkungen. Die eigenen Schulerfahrungen, die man über Jahre erworben hat, schleppt man mit sich herum. Überträgt sie auf das eigene Arbeitsfeld und befindet sich meist unter Gleichgesinnten mit ähnlichen Erfahrungen. Gemeinsame Erfahrung verbindet, lässt sie in der Rückschau als gut erscheinen und warum sollte man dann nicht daran festhalten?

   Diese Erfahrungen sind zum Teil Grundlage des eigenen Lehrerhandels. Da sie meist den Selektionsgedanken über Noten und ggf. noch Defizitförderung besonders, wenn möglicherweise auch unbewusst verinnerlicht haben, prägt dies auch ihr Lehrerverhalten. Ähnliches kann man bei Eltern beobachten, die die eigenen Schulerfahrungen bei der Beurteilung von Schule zugrunde legen. Es geht um Wissensvermittlung und nicht um Problemlösungen. Spaß muss/darf beim Lernen nicht auftreten, das stört das Selbstbild und stellt die eigenen Erfahrungen infrage.

Die eigene Erfahrung: Ein Grund, warum Schulentwicklung so unendlich lange dauert und mühsam ist. Klick um zu Tweeten

   Beziehungen unterstützen das Lernen und Spaß entfesselt es schlichtweg. Dies sind Voraussetzungen, die mit den gemachten eigenen Schulerfahrungen meist nicht kompatibel sind. Es steckt ebenfalls keine schlechte Absicht hinter dieser Art der Wissensvermittlung, denn jeder Lehrer handelt nach bestem Wissen und Gewissen. Nur reicht das heute noch?

  • Reicht eine eingeschränkte Lebenserfahrung, die immer in einem geschützten Raum erworben wurde?
  • Ist es ausreichend, wenn man die Erfahrungen eines normalen Arbeitnehmers nicht machen konnte?
  • Gibt es eine pädagogische Freiheit, die jeden Lehrer unabhängig vom Konsens, der in der Schule gefunden wurde, handeln lässt, wenn die Klassentüre hinter ihm geschlossen ist?
  • Ist es de facto sinnvoll, Lehrer zu beamten und nicht als Angestellte einzustellen. Obwohl Ersteres sicherer für Land und Lehrer ist (kein Streik, lebenslanger Arbeitsplatz), schränkt es doch das Handlungsvermögen außergewöhnlich ein. Es gibt keine leistungsgerechte Bezahlung, aber auch kein Streikrecht. Eine Entfernung aus dem Schuldienst findet so gut wie nie statt, auch wenn sie nötig wäre. Und wer seinen Beruf als Job sieht – Gott sei Dank sind das nicht so viele Lehrer – kann eine ruhige Kugel schieben.

   Auch hier muss der Hebel angesetzt werden, wenn Schule gelingen soll nach dem Motto: Weg von der Selektion und Defizitförderung, hin zur individuellen und wertschätzenden Unterstützung der Lernenden!

   Enden möchte ich mit der durchaus provokativ gemeinten Aussage:

“Mit einem Brunnenfrosch kann man nicht über den Ozean sprechen.” - Chuang Tze Klick um zu Tweeten