Wunderschönes Wetter an diesem letzten Freitag im April in Köln. Dieser Freitag ist für viele Radfahrer inzwischen zu einem Muss geworden, denn dann startet die Critical Mass um 18 Uhr von der Hahnentorburg aus.
Ab 17:30 Uhr trudeln die ersten Radfahrer ein und nutzen die Zeit zum Klönen, zum Kennenlernen oder einfach nur zum Wiedersehen.
Die Critical Mass ist eine Aktionsform, die weltweit genutzt wird und immer mehr Anhänger findet.
Eine größere Anzahl Verkehrsteilnehmer, in Köln Radfahrer, treffen sich zufällig, um ohne Hierarchie eine Fahrt durch Köln zu unternehmen. Wer vorne ist, führt. Ein Wechsel der Führung ist jederzeit möglich und so ist die Route, die gefahren wird, nicht vorhersehbar.
Ziel dieser Aktion ist es, den Radfahrer und andere Verkehrsteilnehmer in den Fokus der Autofahrer und Verkehrsplaner zu rücken.
Mit dem Rad fahren ist eine Form des Individualverkehrs. Dies scheint vielen Menschen nicht bewusst zu sein, nachdem jahrzehntelang Mobilität mit dem Auto verknüpft wurde.
Stau, Kosten, Verantwortung für die Umwelt, Schnelligkeit in der Stadt, sind nur einige Gründe, warum es immer mehr Radfahrer gibt, die sich mit einer Infrastruktur konfrontiert sehen, die ihre Bedürfnisse ebenso wenig erfüllt, wie die der Fußgänger.
Größere und breitere Autos fordern für den Individualverkehr immerfort mehr Verkehrsraum ein.
Hier ist die Critical Mass ein Mittel, um auf die Bedürfnisse und Rechte der Radfahrer und Fußgänger hinzuweisen und mehr Verkehrsraum zu fordern.
Gerade in Städten wie Köln ist die Infrastruktur zu 100% auf das Auto abgestimmt. Proteste der Radfahrer werden häufig mit besonderer Überwachung und Knöllchen durch die Polizei quittiert, statt an diesen Strukturen etwas zu ändern.
Weltweit ist es inzwischen so, dass immer mehr Städte das Auto nicht mehr als erstes Mittel des Individualverkehrs sehen. In Paris wurde bei Smog ein Fahrverbot ausgesprochen (in Köln lagen die Werte zur gleichen Zeit um einiges höher und hier passierte nichts) in New York wird die Geschwindigkeit innerstädtisch begrenzt, in Köln hat man in einer Tempo-30-Zone Schwierigkeiten, die Straße zu überqueren. Überwachung findet nicht statt.
Pünktlich startet die Critical Mass (CM) mit schätzungsweise zwischen 550 und 600 Teilnehmern. Auf jeden Fall war der Veband so lang, dass die Deuter Brücke gerade die Teilnehmer aufnehmen konnte.
Da eine Fahrt von mehr als 15 Teilnehmern als Verband nach der Straßenverkehrsordnung gilt, wenn dieser als solcher erkennbar ist, dürfen Kreuzungen auch bei Rotlicht überfahren werden, wenn der erste Fahrer des Verbandes bei Grün die Kreuzung überquert hat (§ 27 StVO). Die Radwegbenutzungspflicht gilt ebenfalls nicht für den Verband (§ 2 Abs. 4 StVO) sodass die Fahrbahn benutzt werden kann. Anders ginge das bei einer solchen großen Anzahl von Radfahrern allerdings auch nicht.
Die Kreuzungen werden durch sogenannte Corker abgesichert, indem sie sich mit ihrem Rad vor den Querverkehr stellen und dieser nicht fahren kann.
Möglicherweise lag es an der Sonne, auf jeden Fall war es eine entspannte Fahrt. Viele Autofahrer winkten und es gab wenige, die erbost waren oder sich in den Verband drängeln wollten.
Vor der Deuter Brücke hatte ich einen anderen Radfahrer neben mir, der zufällig in den Verband geraten war, wie sich bei einem kurzen Gespräch herausstellte. Ich informierte ihn über den Sinn einer CM, von der er noch nie gehört hatte. Er war sichtlich begeistert und setzte sich spontan vor einen Autofahrer, der partout in gefährdender Art und Weise am Verband vorbeifahren wollte. So war dieser geblockt.
Als der Verband auf die Deuter Brücke zufuhr, ahnte ich, wohin es gehen sollte.
Auf dem Auenweg hatte ein illegales Autorennen stattgefunden, bei dem es zu einem Unfall kam. Dabei schleuderte ein Fahrzeug gegen eine 19-jährige Radfahrerin, die auf dem Radweg fuhr. Sie wurde mit lebensgefährlichen Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert und verstarb kurze Zeit später.
Ein kurzer Halt, eine Gedenkminute und das Bewusstsein, dass es in Köln recht häufig zu Unfällen kommt, bei denen Radfahrer getötet werden.
Meist sind es Abbiegeunfälle durch LKW.
Präventiv haben inzwischen die KVB-Busse und viele LKW einen Aufkleber hinten, der auf den Toten Winkel aufmerksam macht. Als ob das den Fahrer von der Pflicht entbindet, entsprechende Aufmerksamkeit walten zu lassen und die Verantwortung auf den Radfahrer für mögliche Folgen überträgt.
„Verkehrte Welt!“, kann ich nur dazu sagen.
Auch an der Keuptstraße, einem weiteren Unfallort der jüngsten Vergangenheit und der Venloer Straße wurde ein kurzer Halt eingefügt und den verunglückten Radfahrern gedacht.
Trotz dieser traurigen Anlässe war es eine positive Fahrt. Die Resonanz der Passanten, die häufig zu ihren Handys griffen und filmten; der Polizei, oder wie sie mitunter auch genannt wird, Rennleitung, unterstützten die Fahrt und / oder winkten freundlich; die Straßenfahrer waren gelassen und bis auf wenige Ungeduldige insgesamt ein positives Erlebnis für Mitfahrer und Zuschauer.
Die nächste Critical Mass in Köln startet Freitag, 29. Mai um 17:30 Uhr. Treffpunkt ist wie immer der Platz am Hahnentor.